Oder doch nicht? Gesunden Abstand zu deinen Eltern finden
Manchmal drehen Eltern echt durch: Entweder sie behandeln ihren Nachwuchs wie Babys oder machen auf einmal einen auf best friend. Was tun? Rebellieren oder mit den Eltern auf ein U2-Konzert gehen? Hella Thorn hat sich Gedanken gemacht ...
Ich mag meine Eltern. Die sind super. Seit ich nicht mehr zuhause wohne, telefonieren wir oft miteinander, teilen Freuden, Sorgen und Zweifel. Wir können über ähnliche Dinge lachen und haben oft dieselben Ansichten. Dennoch würde ich nie sagen, dass meine Eltern meine Freunde sind. Sie sind meine Eltern. Davon hab ich nur die beiden und auch keiner meiner Freunde dürfte mir Thermounterhemden schicken oder mich mit typisch mütterlichem Unterton ermahnen nicht zu spät nach Hause zu kommen und genügend Obst zu essen. Und natürlich find ich nicht alles klasse. Manche Prioritäten hab ich anders gesetzt, mein Alltag ist gänzlich anders strukturiert und ich habe in vielen Dingen auch eine gegensätzliche Meinung. Das war natürlich nicht immer so.
Nachmachen und lernen
Ich war ja auch mal klein. Und kleine Kinder finden ja grundsätzlich erst mal alles toll, was die Großen, die Eltern, machen. Ist auch gut so, schließlich wollen sie versorgt werden (auch wenn mitunter komischer Rosenkohl auf dem Teller liegt ...), die Schuhe gebunden bekommen, vor den Monstern unterm Bett beschützt werden und die Welt erklärt bekommen. Aber selbst im Kleinkindalter gibt es Abgrenzungen. Dreijährige lernen schnell ihren Willen zu sagen und durchzusetzen. Manchmal klappt's, manchmal sitzen die Eltern am längeren Hebel. Alles völlig normal und gut, denn Grenzen und Regeln sind wichtig, weil sie helfen, sich mit anderen gut zu verstehen. Außerdem bieten sie auch den Spielraum, in dem man sich gut ausprobieren und entwickeln kann.
Auch mal anders sein
Logisch, dass je älter man wird und je mehr man sich eigene Gedanken macht, der Wille steigt, eben diese Grenzen auszutesten und zu überschreiten. Dieser Abgrenzungsprozess – von Erwachsenen manchmal auch Rebellion genannt – ist für die Entwicklung genauso wichtig, wie das Nachahmen in den ersten Kinderjahren. Sie ist gesund! Weil es unglaublich wichtig ist zu wissen, was man selber mag und denkt und ablehnt. Das festigt die eigene Persönlichkeit. Denn stell dir nur mal vor: Dein Kumpel aus der Schule fragt noch mit Dreißig ständig bei seinen Eltern nach, welche Entscheidungen er treffen soll, weil er es immer noch nicht gelernt hat, Verantwortung zu übernehmen – auch für die Dinge, die seine Eltern nicht gut finden würden ... Dieses Abgrenzen klingt im ersten Moment vielleicht stark nach Konflikten über lange Nächte außerhalb der elterlichen Kontrolle, schlechten Noten und vielen Widerworten. Dabei muss das gar nicht so sein. Schließlich geht es nicht darum, alles, was die Eltern machen, sagen oder wollen doof zu finden und zu boykottieren. Sondern nur darum, deine eigene Meinung zu bilden und eigene Entscheidungen zu treffen. Und das geht auch ganz ohne Krawall, zum Beispiel Auseinandersetzung in deinem Kopf, wenn du dich fragst: Was machen meine Eltern wie? Wie will ich das später machen? Find ich das gut oder doof und warum? Solche Gedanken stärken und festigen die eigene Meinung. Überhaupt ist es immer gut, sich über Gründe Gedanken zu machen, dann wird man auch viel eher ernst genommen, als wenn man mit dem Fuß aufstampft und rumplärrt.
Gemeinsamkeiten feiern
Wenn du das ehrlich durchziehst, wirst du ganz sicher auch feststellen, dass du in einigen Dingen auch tatsächlich mit deinen Eltern übereinstimmst! Kein Wunder – wir sind die Kinder unserer Eltern und Ähnlichkeiten liegen uns quasi im Blut. Wenn wir einen verwandten Geschmack haben, uns für ähnliche Dinge interessieren oder die gleichen Werte vertreten – toll! Allerdings nur dann, wenn wir das wirklich selbst entschieden haben, Gründe dafür benennen können und über genügend Selbsteinschätzung verfügen. Mutter-Tochter-Tage und Vater-Sohn-Aktionen sind wichtig und können uns helfen, unsere Eltern besser kennen und verstehen zu lernen. Denn für die Eltern ist es mitunter schwierig zu sehen, wie ihre einst kleinen Lieblinge nun groß werden, eigene Meinungen, einen fremden Musikgeschmack oder ein eigenwilliges Berufsziel haben. In Eltern steckt irgendwie eben immer der Beschützerinstinkt. Sie meinen, sie müssten uns unser Leben lang Regeln geben, unseren Vitaminhaushalt überwachen und überprüfen, ob wir warm genug angezogen sind. Das kann zwar nerven, ist doch aber irgendwie auch rührend und darf genossen werden – wer bringt einem denn sonst den Tee ans Bett, wenn die Nase läuft?!
Was denn jetzt?
Und wie kann ich jetzt wissen, was angebracht ist? Wo ist das richtige Maß zwischen Rebellion und Freundschaft? Wann sollte man die Füße unterm Tisch still halten und wann mal mit der Faust auf selbigen hauen?
Tipp 1// Es nervt, wenn Eltern denken, man sei noch ein Kleinkind. Zeit also, ihnen zu zeigen, dass dies nicht so ist. Übernimm Verantwortung, denk mit, beteilige dich im Haushalt und zeig so deinen Eltern, dass du auf dem besten Wege bist, selbstständig zu werden.
Tipp 2// Versetz dich in die Lage deiner Eltern. Übertreiben die wirklich oder gibt es einen Grund, warum sie so reagieren? Was könntest du ihnen argumentativ entgegensetzen, um sie zu überzeugen? Kannst du sie in ihren Ängsten beruhigen?
Tipp 3// Reden! Türen knallen, mit dem Fuß aufstampfen, heulen und garstige Sachen brüllen hilft nicht. Ich hab's selbst oft genug versucht. Stattdessen, tief Luft holen und reden. In ruhigem Ton, ohne rollende Augen und ohne so Aussprüche wie: »Das machen/haben/dürfen aber alle anderen«. Kompromisse aushandeln und Pflichte und Rechte schriftlich festhalten, damit sich jeder dran hält.
Tipp 4// Oft haben Eltern das Gefühl, dass ihnen ihre Kinder entgleiten. Und natürlich gibt es was Cooleres, als abends mit seinen Eltern auf der Couch zu sitzen und über den Tag zu quatschen. Aber um das Vertrauen der Eltern zu bekommen, ist das keine schlechte Idee. Erzähl ihnen, was dich bewegt, worüber du nachdenkst und was dich freut. Stell ihnen deine Freunde vor, erklär ihnen dein Musik-, Frisuren- oder Klamottengeschmack. Auch Eltern waren mal Teenies, selbst wenn sie das vielleicht erfolgreich verdrängt haben. Frag deine Eltern nach ihrer Jugend, was sie alles so gemacht haben, wie es ihnen mit ihren Eltern ging. Manchmal kann so ein kleiner Schubser in die Vergangenheit Wunder bewirken.
Tipp 5// Last but not least: Überleg dir, wofür es sich wirklich zu kämpfen lohnt. Du willst etwas unbedingt? Dann mach dir klar, was du dafür tun würdest. Jeden Tag Küchendienst? Lieber wieder um zehn nach Hause kommen, als um elf? Warum willst du überhaupt bestimmte Dinge, weil es jeder hat oder macht? Beweise einen langen Atem und Kreativität, wenn es darum geht, deine Eltern zu überzeugen. Solltest du grundsätzlich anderer Meinung sein, musst du das deinen Eltern nicht entgegenbrüllen. In Gesprächen kannst du versuchen, ihnen deinen Standpunkt zu erklären, aber zum Erwachsensein gehört eben auch dazu, den Mut zu haben, zu einer eigenen, vielleicht gegensätzlichen Meinung zu stehen und Toleranz gegenüber Andersdenkenden an den Tag zu legen.
Text_Hella Thorn musste immer mega früh zuhause sein, dafür hatte sie Dreadlocks und zerissene Hosen.
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