Im vorderen Teil der Bibel wird immer wieder von Kriegen in Gottes Namen berichtet. Ist der Gott der Christen ein Kriegsgott?
"Der Gott im Alten Testament ist blutrünstig, rachsüchtig und hart; der Gott im Neuen Testament ist Liebe".
"Ich habe die Nase voll vom Alten Testament, ab jetzt lese ich nur noch im Neuen Testament".
"Ist das ein Gott der Liebe, der Güte und des Erbarmens, wenn er wegen Lappalien solche harte Strafen ausspricht?"
"Das Alte Testament ist voller Gewalt und Kriege!"
Das sind nur ein paar wenige Meinungen zu diesem Thema und man könnte die Liste noch unendlich lang fortsetzen. Ich staune immer wieder, dass ich solche Meinungen auch aus den eigenen Reihen zu hören bekomme, also von Teenies, die eine persönliche Beziehung zu Jesus haben, in den TC oder die JG gehen und sich aktiv in ihrer Gemeinde engagieren.
Vielleicht hast du ja auch schon Mühe mit dem Alten Testament gehabt und dich mit dem Gedanken getröstet: "Zum Glück ist mit Jesus alles anders geworden."
Weil selbst Christinnen und Christen immer wieder Mühe mit dem Alten Testament haben, greifen wir dieses Thema hier auf.
Gewalt wird erkannt, genannt und aufgedeckt
Du machst dir sicher auch Gedanken über Terroranschläge militanter Moslems, über den Dauerkonflikt in Israel und über die Frage, ob der Irakkrieg gerechtfertigt war. Bei handgreiflichen Auseinadersetzungen auf dem Pausenhof reagierst vielleicht ohne gross nachzudenken mit einem Kinnhaken oder einen Tritt in den Hintern.
Gewalt ist sicher ein aktuelles Thema, aber kein Phänomen unserer Zeit. Gewalt gab es immer. Darum redet auch das Alte Testament davon. Da hört man von Gewalt in der Familie und Verwandtschaft (1.Mos 4; 1.Mos 27; 1.Mos 37; 2.Sam 13;...), von Gewalt gegenüber den kleinen Leuten, sowie gegenüber armen und rechtlosen Menschen (1.Kön 21; 2.Sam 11,4-17; Jes 10,1-2; Am 2,6-7; 8,4-6; Mi 2,1-2), von Kriegen und Gewalt in Kriegen (1.Mos 14; 1./2.Sam; 1./2. Kön; Chr; Am 1-2) und von sexueller Gewalt (1.Mos 6,1-4; 1.Mos 19; Ri 19). Gewalt wird angesprochen und aufgedeckt. Es wird nicht zwischen den Guten und den Bösen unterschieden: Davids Auftragsmord an Uria wird genauso erwähnt wie die Gewalttaten der schlechten Könige Israels.
Das Alte Testament lässt es aber nicht dabei bewenden, die Gewalttaten zu schildern, es deckt auch schonungslos die Wurzel der Gewalt auf: Hass, Neid, Eifersucht, Machtstreben und Gier. Es spricht vom Mensch, so wie er wirklich ist. Es macht keinen Hehl daraus, dass die Welt grausam sein kann und wer heute nicht blind durch die Weltgeschichte läuft, kann diese Realität nur bestätigen.
Erst wenn diese Realität aufgedeckt und wahrgenommen wird, kann man sich die Frage stellen: "Und wie soll ich nun mit Gewalt umgehen?" Du wirst staunen: Lösungsansätze dazu findest du nicht erst im Neuen Testament, sondern bereits im Alten.
Gewalt soll überwunden werden
Besonders schön finde ich die Geschichte von Abraham und Lot in 1.Mos 13,8-12. Abraham lässt die Streitigkeiten nicht eskalieren, sondern bietet eine friedliche Lösung an. Oder David in der Höhle von En-Gedi (1.Sam 24): Eine super Gelegenheit den Saul aus dem Weg zu räumen und endlich an die, von Gott verheissene Macht zu kommen. Aber statt dessen schneidet er nur einen Zipfel von Sauls Gewand ab.
Abraham und David legen ihre Sache vertrauensvoll in Gottes Hand. Sie glauben, dass er für sie sorgen wird und dass sie nicht am Ende in die Röhre gucken. Darum müssen sie nicht gewaltsam für ihr Recht kämpfen. Es ist der gleiche Rat, den der Prophet Jesaja in der Assyrerkrise erteilt: "Denn so spricht Gott der Herr: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht und sprecht: "Nein, sondern auf Rosse wollen wir dahinfliegen" (Jes 30,15-16). Die Regierenden wollen selbst für ihre Sicherheit sorgen durch die geeigneten politischen und militärischen Massnahmen (Jes 31,1). Jahre später, nachdem die Katastrophe über das Südreich Juda hereingebrochen ist und Gott einen Neuanfang mit seinem Volk gemacht hat, lässt er dem Statthalter und Nachkommen des Davids, Serubbabel, durch den Propheten Sacharja ausrichten: "Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen."
Zu den Lösungsansätzen zur Überwindung von Gewalt gehören auch die Zehn Gebote (2.Mos 20; 5.Mos 5), in denen nicht nur das vorsätzliche Töten verboten wird, sondern bereits der begehrende Blick als Auslöser von Gewalttaten und das Gebot der Nächstenliebe (3.Mos 19,18).
Ob du es glaubst oder nicht, auch das Gebot "Auge um Auge, Zahn um Zahn" (2.Mos 21,23-25) dient dem Eindämmen von Gewalt. Diese Verse dienen ja auch Nichtchristen immer wieder als Beweis dafür, dass das Alte Testament quasi zur Rache und damit zur Gewalt auffordert. Das ist aber so ziemlich das Gegenteil von dem, was diese Verse meinen: Du musst dir vorstellen, dass zu jener Zeit in und um Israel blutracheähnliche Zustände herrschten. Ein grausames Beispiel dafür ist Lamech in 1.Mos 4,23-24: Er hat mich verwundet, als Revanche dafür töte ich ihn. Ist damit der Fall erledigt? Nein! Als nächsten Schritt wird seine Sippe mich und meine Familie töten. Du merkst schon: da bahnt sich was an; die Gewaltspirale dreht sich immer weiter. Zum Schluss müssen unzählige Menschen für eine Bagatelle mit dem Leben bezahlen. Dem schiebt 2.Mos 21,23-25 einen Riegel vor. Dort wird festgelegt, dass die Höhe der Strafe dem Vergehen entsprechen muss. Genau dieser Gedanke ist bis heute die Grundlage unseres Strafrechtes. Jemand, der einen Kaugummi klaut wird nicht mit lebenslänglich bestraft, ein Mörder möglicherweise schon. Das Gebot soll auch nicht der persönlichen Rache Vorschub leisten, so nach dem Motto: "Du hast mich gehauen, jetzt darf ich zurück hauen." Es gehört zu einer Reihe von Rechtsvorschriften, die von unabhängigen Richtern vor Gericht angewendet wird, um geschädigten Personen eine gerechte Entschädigung zu gewährleisten.
Gewalt aus der Opferperspektive
Wie soll man aber nun mit Versen wie z.B. Ps 83,10-18; 94,23; oder ganz krass Ps 137,9: "Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und sie am Felsen zerschmettert." Über diese Worte kann man sich nicht schnell mal fragen: "Was haben sie mir wohl heute zu sagen?" Da muss man schon ziemlich drüber nachdenken, wie es auch in Ri 19,30 gefordert wird, am Ende einer Geschichte, die man wohl auch lieber nicht in der Bibel stehen hätte.
"Kinder am Felsen zerschmettern" – was können denn die dafür? Ich kann alle gut verstehen, denen sich die Haare über solchen Text sträuben. Aber wir heute sind nicht der Ausgangspunkt dieser Texte. Wir leben heute in einer friedlichen, demokratischen und neutralen Schweiz. Ernst zu nehmende Bedrohung gibt es für uns nicht. Ganz anders die Situation damals: "An den Wassern zu Babel sassen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten" (Ps 137,1). "Wohlan!" sprechen sie, "lasst uns sie ausrotten, dass sie kein Volk mehr seien und des Namens Israel nicht mehr gedacht werde!" (Ps 83,5). Das Motiv der Feinde ist die gezielte Vernichtung des Volkes Israels; Völkermord oder Endlösung, wie man es im dritten Reich nannte. In diesen Zusammenhang gehört auch die Geschichte von Saul, der an den Amalekitern nicht wie befohlen den Bann vollstreckt (1.Sam 15). Amalek, so die Begründung, ist das erste Volk, dass Israel nach seinem Auszug aus Ägypten ausrotten wollte. Ist es da verwunderlich, dass solche Gedanken hochkommen? Die Schreiber sind direkt Betroffene und keine neutralen Beobachter des Geschehens. Verstehst du: die Bibel erzählt doch keine Märchen von irgendwelchen Übermenschen, sondern von den Menschen wie sie eben sind und mal ehrlich: hast du noch nie über jemanden eine mega Wut im Bauch gehabt?
Ich will noch konkreter werden: Vielleicht kennst du die Filme "Schindlers Liste" oder "Die Zuflucht". Stell dir nun vor, 1942 als Deutschland auf der Höhe seiner Macht war, zahlreiche Länder bereits kapitulieren mussten und niemand mit seiner Niederlage rechnete, wären in den Konzentrationslagern des deutschen Reiches eine Truppe Engel im Auftrag Gottes aufgetaucht, hätte die Aufseher und Folterknechte überwältigt und wäre mit ihnen verfahren wie es dem Saul geboten worden ist. Was würdest du darüber empfinden? Fändest du das nicht irgendwie gerecht?
Aber eben, wie ist das nun mit den Kindern? – Die Kinder sind aus dem Blickwinkel der Opfer die Verfolger und Vernichter von morgen. Sie werden von ihren Eltern geprägt, sie lernen den Hass von ihnen. Ein Beispiel dazu sind die Kindersoldaten in Afrika oder die Steinewerfer und jugendlichen Selbstmordattentäter in Israel.
Ein Detail darf man aber nicht unterschlagen. Diese Psalmen sind Gebete. Sie wenden sich an Gott. D.h. die Betenden vollziehen nicht selbst an den Feinden, was sie ihnen wünschen, sondern überlassen sie der Gerechtigkeit Gottes. Sie haben ja auch gar nicht die Mittel dazu. Sie sind ja die Opfer. Das ist natürlich etwas ganz anderes als die Situationen, in denen später mächtige Völker diese Verse als Rechtfertigung für gewalttätige Kolonisierung und Christianisierung nahmen.
Gott als Ursache von Gewalt – Rettung; Gericht und Anfechtung
Gehen wir noch einen Schritt weiter: Wie steht es mit den Texten, die Gott mit Gewalt in Zusammenhang bringen? Kann solch ein Gott der Vater Jesu sein?
Gott ist parteiisch! Ob es uns passt oder nicht: Gott hat ein Volk – Israel – erwählt und schreibt mit ihm Geschichte. Wir hören davon, dass er einen Bund mit ihm eingegangen ist, dass heisst sich ganz eng an Israel gebunden hat. Im Alten Testament ist die Rede davon, das Gott nicht weit entrückt, fern der Realität thront, sondern höchst lebendig auf dieser Erde mitmischt. Er identifiziert sich aufs Äusserste mit seinem Volk: "Wer euch antastet, der tastet meinen Augapfel an" (Sach 2,12) und wer ihn antastet, muss die entsprechenden Konsequenzen tragen. Das bekommt der ägyptische Pharao am eigenen Leib zu spüren, als er mit seinen Streitwagentruppen im Roten Meer versenkt wird. In den kriegerischen Auseinandersetzungen (übrigens sind diese Kriege im Namen Jahwes Verteidigungskriege) steht Gott auf der Seite Israels. Darum ist der Sieg auch von Gottes Beistand abhängig und nicht von der militärischen Stärke Israels. Im Krieg gegen Amalek (2.Mos 17,8-16) entscheidet über Sieg und Niederlage die erhobenen Hände Moses. Als Gideon von den Midianitern angegriffen wird, muss er ausdrücklich auf den Befehl Gottes hin sein Heer auf lächerliche 300 Mann reduzieren (Ri 7). Oder wer kennt sie nicht, die Geschichte von David und Goliat: Auf der einen Seite die muskelbepackte Kampfmaschine Goliat auf der anderen Seite ein unerfahrener Teenager. Aber er sagt die entscheidenden Worte: "Heute wird dich der Herr in meine Hand geben..." (1.Sam 17,46). All diese Texte berichten, wie bereits erwähnt aus der Opferperspektive. Es sind die Geschundenen und Verfolgten, die ihren Gott als Rettergott erlebten, in Situationen, wo es menschlich gesehen keinen Ausweg mehr gab.
Aber ist das nicht ungerecht, wenn sich Gott ein Volk auf Kosten aller anderen aussucht?
Ganz so kann man das nicht sagen. Viele Christen meinen ja erst mit dem Neuen Testament ginge auch für die Heiden die Türe zu Gott auf, aber das ist falsch. Bereits im Alten Testament ist die Rettung der Völker ein Thema, z.B. Jes 2,2-4; Jes 25,6-8; Mi 4,1-4; Sach 8,20-23 bzw. seine Gnade gegenüber einzelnen, z.B. Jona 3; 2.Kön 5. Ausschlaggebend im Alten Testament ist auch sein Wille und sein Wort. Sie sind das Kriterium für Gottes Gericht. Und dieses Gericht wendet sich nicht nur gegen die fremden Völker, sondern auch gegen sein Volk. Das Alte Testament verfährt also durchaus selbstkritisch. Schuld sind keineswegs immer die anderen Völker.
Das hat so krasse Ausmasse, dass Gott dem Jeremia schliesslich befiehlt: "Du sollst nicht bitten für dieses Volk und sollst für sie weder Klage noch Gebet vorbringen, sie auch nicht vertreten vor mir, denn ich will dich nicht hören" (Jer 7,16). Das Mass ist voll. In Ez 20 greift der Prophet Ezechiel weit in die Vergangenheit zurück und führt aus, wie Gott alles unternommen hat, sein Volk bei der Stange zu halten – und es nichts genutzt hat. Und Jesaja liefert die Begründung, warum nun Gott sein Gericht verhängt: "Denn wenn deine Gerichte über die Erde gehen, so lernen die Bewohner des Erdkreises Gerechtigkeit. Aber wenn dem Gottlosen Gnade widerfährt, so lernt er doch nicht Gerechtigkeit, sondern tut nur übel im Lande" (Jes 26,9-10).
Aber nicht alles lässt sich mit Gottes Rettung oder mit seinem Gericht begründen. Da bleiben ja immer noch Fragen zum unschuldigen Leiden wie man es im Buch Hiob nachlesen kann. Ohne Grund lässt Gott einen Schicksalsschlag nach dem anderen über Hiob und seine Familie hereinbrechen: Da fallen plündernde Banden aus Saba und Chaldäa ein und stehlen und morden, ja es fällt sogar Feuer Gottes mit seiner tödlichen Wirkung vom Himmel (Hi 1,15-17). Klar wir kennen die Rahmengeschichte (Hi 1-2) und was sich im Himmel abgespielt hat. Aber all das wissen Hiob und seine Freunde ja nicht. Und der Erzähler vermeidet alles, was ein negatives Licht auf den Hiob werfen könnte. Es wird kein Zweifel daran gelassen: Hiobs Leiden hat nichts mit irgendwelchen versteckten oder offenkundigen Sünden zu tun. Menschlich gesehen gibt es gar keinen Grund für sein Leiden. Der Grund liegt jenseits jeder menschlichen Vorstellungskraft: Gott will dem Satan beweisen, dass der gerechte Hiob auch im Leiden gerecht bleibt. Aber eben, davon wissen nur wir, wenn wir es lesen. Hiob und seinen Freunden bleibt es verborgen. Auch als Gott das Wort ergreift, lässt er sie nichts davon wissen.
Damit setzt sich das Alte Testament also auch auseinander: Es gibt Leiden, die nicht erklärbar sind. Leiden, die Gott verursacht oder zumindest nicht verhindert. In seiner Allwissenheit hätte sich Gott doch gar nicht auf die Wette mit Satan einlassen müssen. Das Alte Testament verteilt nicht einfach alles Gute auf Gott und alles Böse auf den Satan. Gott macht Licht und Finsternis, Frieden und Unheil (Jes 45,7; Am 3,6). Dieser Gott des Unheils kann einen in massive Anfechtung stürzen. Das erlebt Jeremia so, das erlebt Hiob so und Asaph, der Beter des 73. Psalms.
Doch erstaunlicherweise geben diese Menschen Gott nicht den Laufpass. Sie wenden sich – an ihn! Vorwurfsvoll, anklagend, aber sie wenden sich an ihn. Und Gott hält das aus und billigt es sogar (Hi 42,7 u. 8). Die Auseinandersetzung mit Gott führt nicht zum Abfall von Gott, sondern zu einer neuen Dimension von Glauben (Ps 73,23). Darum sind gerade solche Texte eine grosse Hilfe für Menschen in Anfechtung geworden.
Damit ist natürlich noch nicht erklärt, warum Gott so handelt. Man kann es und soll es auch gar nicht erklären können.
Damit ist dieses Thema auf keinen Fall erschöpfend behandelt. Wie du bereits gemerkt hast, hat dieses Thema so viele Facetten, dass es noch so viel zu sagen gäbe. Es gibt nicht einfach die Meinung über Gewalt im Alten Testament. Die Gläubigen haben sich immer wieder neu darauf eingelassen und versucht, es einzuordnen. Dabei blieb es nicht aus, dass für uns heute manches ziemlich steil daher kommt. Solltest du Fragen zu einzelnen Stellen haben, kannst du mir gerne schreiben. Hoffentlich ist aber klar geworden, dass das Alte Testament nicht Gewalt verherrlicht, bzw. nur aus Gewalt besteht, sondern hier bereits die Töne angeschlagen werden, die im Neuen Testament und in der Verkündigung Jesu aufgenommen und fortgesetzt werden.
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